Sonntag, 2. Oktober 2011

Kiwis gone mad

Das war von mir nicht so geplant, aber bei meinem Auckland-Aufenthalt erlebe ich ein im positiven Sinne voellig durchgedrehtes Land. Neuseeland ist aktuell Gastgeber der Rugby-Weltmeisterschaften, laut hiesigen Medien das groesste Sportereignis in der Geschichte des Landes, und ich bin mitten in die Gruppenphase geplatzt. Mit zwei Austragungen des America's Cup, drei Hosts der Commonwealth Games und auch frueheren Rugby-WM-Spielen (gemeinsam mit Australien) ist man in der Ausrichtung von Sport-Grossereignissen ja nicht gaenzlich unerfahren, dennoch hat das hier eine neue Dimension.

Natuerlich habe ich es mir nicht entgehen lassen, mir zwei Spiele live zu geben (Samoa vs. Suedafrika und Neuseeland vs. Kanada). An Stadion-Tickets war nicht mehr zu denken, die Stadt ist bevoelkert mit Leuten, die "Need Tickets" Schilder spazierentragen. Aber auch das Public Viewing der beiden "Heimspiele" hat fuer ausreichend Gaensehauterfahrung gesorgt. Auckland ist jene Stadt in Neuseeland mit dem groessten Anteil polynesischstaemmiger Bevoelkerung, sprich Maoris. Spaetestens nach dem "Kriegstanz" von Samoa vor Spielbeginn bestand kein Zweifel mehr, auf wessen Seite die Masse steht.

Die Feinheiten des Regelwerks haben sich mir nicht gaenzlich erschlossen, aber im Vergleich etwa mit einem Cricket-Match ist es auch fuer unsereins recht leicht moeglich dem Spielverlauf zu folgen. Wann eine Blutgraetsche ein Foul darstellt und wann es sich dabei um ein gutes Tackling handelt war mir nicht immer klar, jedenfalls habe ich zwei sehr schnelle, kurzweilige Spiele gesehen. Zu meiner Verwunderung gibt es sogar einen Schiedsrichter, der nach offenen Serienrippenbruechen und Ohrenreiberl mit Gehirnaustritt mit wohldosierten gelben und roten Karten dafuer sorgt, dass die Dinge nicht ausufern und hin und wieder ein Timeout verfuegt, damit die Sanitaeter ihre Toten und Verwundeten vom Feld schleifen koennen.

Der Vorteil am Public Viewing ist, dass man den Fernsehkommentaren lauschen kann und alle moeglichen und unmoeglichen, vom Publikum jedenfalls heftig diskutierten Kennzahlen und Analysen eingeblendet bekommt. Eine der wichtigeren Statistiken ist dabei offenbar die Fleischeinwaage, wo die Lebendgewichte bestimmter Formationen gegenuebergestellt werden. Samoa hat diese Kategorie in meinem Sample ueberlegen gewonnen, dummerweise fehlt ihnen mindestens ein schneller Fluegelstuermer, so dass sie trotzdem gegen den Titelverteidiger Suedafrika abgebissen haben und damit aus dem Turnier sind. Jetzt beginnt wohl wieder das Frustessen.

Bei der Gelegenheit noch ein Stueck nutzloses Wissen, dass ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten moechte. Wie allgemein bekannt lautet der Spitzname des Kiwi-Teams "All Blacks" (die Aussies sind die "Wallabies", die Suedafrikaner die "Springboks" etc.). Und nun die Preisfrage: wie lautet der Spitzname des neuseelaendischen Basketball-Nationalteams? Bingo, das sind natuerlich die "Tall Blacks"!

Mir wurde uebrigens die Ehre zuteil im selben Hotel wie die schottische Nationalmannschaft untergebracht zu sein. Ich hatte mich schon beim Einchecken am ersten Tag gewundert, warum so viele Leute gemeinsame Fotos mit den beiden Tuerstehern mit Zahnluecke wollen, dachte mir aber nichts weiter dabei, schliesslich habe auch ich in Peking Chinesen mit nackten Bierbaeuchen abgelichtet. Erst als sie mit ca. 20 weiteren Kleiderschraenken, alle im gleichen Trainingsanzug, unter Blitzlichtgewitter zu ihrem Teambus gingen, um im Spiel des Abends gegen England eine Abfuhr zu kassieren hat es mir gedaemmert. Am naechsten Tag hat mir der Mumm gefehlt um ein Foto zu bitten, wer weiss wie lange der Frust nach so einem WM-Aus anhaelt.

Auch abgesehen vom Rugby sind die Kiwis richtiggehend sportverrueckt. Allein schon die Tatsache, dass Edmund Hillary vom 5$-Schein lacht spricht Baende. Wenn ich hier im Morgengrauen meine Runden den Pazifik entlanglaufe bin ich keine exotische Ausnahmeerscheinung wie in China. Im Gegenteil, die Anzahl der Laeufer und Radfahrer am Samstag und Sonntag um 7:00 Uhr frueh uebersteigt sogar jene der Nachtschwaermer. Das kenne ich auch aus Wien selbst in den Wochen vor dem Marathon nicht, am Donaukanal und im Prater sind die Ueberbleibsel des Partyvolks den Morgensportlern immer mindestens im Verhaeltnis 3:1 ueberlegen.

In memoriam Sir Edmund bin ich uebrigens nicht nur den Hillary-Trail gelaufen, sondern habe auch den Mt. Eden, den Hausberg von Auckland, bezwungen. Es muss wohl jener wahrhaft ehrfurchtgebietende 181m Titan gewesen sein, wo Hillary sich sein Ruestzeug fuer den Everest geholt hat. Persoenlich habe ich ihn zwar nicht getroffen, aber auch Jonathan Wyatt soll sich auf exakt diesem brutalen Riesen vor seinen Wettkaempfen den letzten Schliff holen.

Etwas ausserhalb der Stadt gibt es einen Regenwald, der den unschaetzbaren Vorteil hat, dass es in Neuseeland keine wilden Tiere gibt, und die einzigen Gefahren fuer die im Sommer wie Heuschrecken ueber die Insel(n) herfallenden Backpacker somit das Verirren auf den beschrifteten Wanderwegen sowie das Ersticken am eigenen Erbrochenen darstellen. Es fehlt nicht nur an Baeren und Woelfen, im Gegensatz zu Australien gibt es auch keine giftigen Insekten, Schlangen, Alligatoren und aehnliches Gesocks. Wenn ich schon beim Bildungsauftrag bin, mit Ausnahme von zwei handtellergrossen Fledermausarten gibt es ueberhaupt keine autochton neuseelaendischen Saeugetiere. All die Schafe (48 Millionen bei 4,5 Millionen Menschen), Hunde, Katzen, Kuehe, Schweine usw. sind Importe der Englaender. Ja, selbst Singvoegel, Jagdwild und Fische hat man eingefuehrt, damit die Vertreter der Krone nicht auf ihre althergebrachten Freizeitvergnuegen verzichten muessen. In der Flora ist es aehnlich gelaufen wie in der Fauna, nur auf jagdbares Fuchswild hat man verzichtet. Details hierzu folgen im kostenpflichtigen Schulkanal, den ich in Kuerze in Kooperation mit National Geographic und der Glaubenskongregation des Vatikans unter dieser Domain starte.

Und Ja, ich habe es durchgezogen und mich voellig sinnloserweise nur mit einem Gummiseil gesichert von der Auckland Harbour Bridge gestuerzt und mir auf diese Art das schnellste Finisher T-Shirt meines Lebens gesichert. Das gehoert irgendwie zum Kiwi-Spirit. Die letzten Zweifel wurden durch die von der Rugby-Fanzone heruebergewehten Schallwellen - DJ Oetzi's "He Baby!" - ausgeraeumt. Und Ja, das Gefuehl danach ist in der Tat befluegelnd, aber kaum dass die Windeln getrocknet sind kehrt auch schon wieder der Alltag ein; in der U-Bahn macht keiner den Platz frei, es biwakieren nicht mehr Groupies als sonst vor meinem Hotelzimmer und auch die Autogrammwuensche gingen nicht nennenswert in die Hoehe.

Wenn nur das Wetter und der Linksverkehr nicht waeren. Darum geht es jetzt weiter nach Hawaii!