Wenn man mitkriegt wie selbstverstaendlich die Behandlung des Balles mit allen Koerperteilen ausser Armen und Haenden in den brasilianischen Alltag integriert ist wundert man sich nicht, dass dieses Land Pele und Nachfolger hervorgebracht und fuenfmal das grosse Haeferl heimgeholt hat. Futebol, Futsal, Beachsoccer, Footvolley (mein Favorit), man hat den Eindruck dass ueberall und staendig irgendein Turnier ausgetragen wird. Auch im Alltag auf der Strasse wird jede herunterfallende Getraenkedose, jede vom Lieferwagen rollende Kokosnuss fuer eine kurze Technikeinlage genutzt.
Aber selbst in diesem Land der Ballkuenstler gibt es andere Sportarten. Nicht zuletzt erfreut sich auch in Brasilien der Triathlon zunehmender Beliebtheit, eigentlich naheliegend bei den natuerlichen Voraussetzungen. Nachdem gestern ein langer Lauf am Programm stand wollte ich es heute mit einer kurzen, lockeren Einheit bewenden lassen. Waehrend ich also in aller Herrgottsfruehe den Strand entlangtrabe ueberholt mich aus dem Nichts kommend ploetzlich ein Geschwader von etwa zehn Laeufern. Alle in gleicher Adjustierung, dunkelblaue Hose und blaues Funktionsshirt mit "Ironman Brazil" auf der Vorderseite und "Asics" sowie der Name ihres Sponsors (ein lokaler Running Shop) auf der Rueckseite.
Nachdem der Geschwindigkeitsunterschied nicht so gewaltig war und ich gerade gut warmgelaufen war habe ich mich kurzentschlossen angehaengt, ohnehin brauchte ich ein bisschen Abwechslung und ein paar schnelle Kilometer. Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste ist, dass dieser Verein ausgerechnet heute ein "Doc locker" anstehen hatte. Fuer Uneingeweihte, unter Doc locker kann man sich ungefaehr das vorstellen was diese Woche mit Gaddafi und seinen Soehnen passiert ist, nur eben mit Mitteln des Sports.
Zunaechst war davon jedoch nicht viel zu merken, ich bin offenbar noch beim Einlaufen dazugekommen. Bei irgendeiner geheimen Wegmarkierung hat sich das jedoch schlagartig veraendert, ploetzlich haben alle hektisch zu ihren Stoppuhren gegriffen und es begann ein Ausscheidungsrennen. Waehrend die Meute auf den ersten paar Kilometern noch geschlossen in Formation gelaufen ist, sind schon recht bald die ersten Laeufer abgetroepfelt, zunaechst einzeln, spaeter auch grueppchenweise.
Das Tempo war auch jetzt noch nicht sonderlich hoch, und so bin ich ohne weiter darueber nachzudenken dabeigeblieben, in der irrigen Annahme dass die wohl ein Intervalltraining machen und recht bald auf die anderen warten bevor wieder ein paar schnelle Kilometer folgen. Dummerweise haben die keinerlei Anstalten gemacht an den von mir antizipierten Wegmarken Tempo rauszunehmen, im Gegenteil, der Anfuehrer des Rudels hat unmerklich aber gnadenlos draufgedrueckt und bald waren wir nur noch zu dritt unterwegs.
Zu dem Zeitpunkt bin ich als Fremdkoerper natuerlich aufgefallen und es gab eine kurze Vorstellungsrunde. Keine Ahnung ob sie wussten wo Austria liegt, jedenfalls war es ab nun eine Frage der Ehre den Gringo zu verblasen. Umgekehrt war auch ich spaetestens zu dem Zeitpunkt im Wettkampf-Modus, Aufgeben keine Option, immerhin vertrete ich hier unsere Farben. Auf der zweiten Copacabana-Runde sind wir zu allem Ueberfluss noch an ihren Vereinskameraden vorbeigeflogen die sie lautstark angefeuert haben, sie standen jetzt also auch noch unter sozialem Druck.
Als wir zum zweiten Mal an meinem Hotel in Ipanema vorbeigelaufen sind habe ich kurz ueberlegt einfach abzubiegen und mich zum Sterben aufs Zimmer zurueckzuziehen, aber an ihrer Koerpersprache habe ich bemerkt dass sie aehnliche Gedanken haben. Die Blicke auf die Uhr wurden haeufiger, die Ueberholmanoever von Joggern und langsamen Radfahrern gingen nicht mehr so fluessig, Randsteinspruenge wurden seltener. Mein groesster Nachteil war, dass ich das Ziel nicht kannte. Als sich die beiden auf Portugiesisch unterhalten und dann unvermittelt noch eins draufgelegt hatten wusste ich nicht, dass das schon der Zielsprint war, ich dachte die sind entweder voellig geistesgestoert oder ich bin in ein seltenes, vielleicht indianisches Selbstmordritual geraten. Zu meiner Verwunderung musste jetzt auch der staerker eingeschaetzte Kamerad ziehen lassen und wir waren zu zweit. Leider kann meine Suunto-Uhr keine vierstelligen Pulsfrequenzen anzeigen, ich war jedenfalls am Limit und kurz davor auszusteigen - und ploetzlich war es vorbei.
Beim darauffolgenden Auslaufen konnte ich mir einen kleinen Scherz nicht verkneifen. Nachdem wir die versprengten Reste aufgesammelt hatten und ich als vollwertiges Mitglied der Gruppe akzeptiert war sind wir irgendwie auf Hawaii zu sprechen gekommen. Da habe ich natuerlich erwaehnt, dass ich gerade aus Kona komme. Korrekterweise habe ich umgehend hinzugefuegt, dass ich nur zum Zuschauen und Anfeuern dort war, weil mir mindestens eine Stunde fuer die Qualifikation fehlt. Das Schwimmen und Radfahren ist ganz passabel, aber beim Laufen ist das Niveau in Europa derart hoch, dass ich nicht den Funken einer Chance habe. Allein die staunenden Blicke waren die Schmerzen wert, man konnte foermlich die Zahnraeder im Hirn arbeiten hoeren.
Sie haben mich dann noch zu einer Party ihres Sponsors heute Abend eingeladen, was ich dankend abgelehnt habe. Wie meine Oma schon gewusst hat, wenns am besten schmeckt soll man aufhoeren. Aber fuer kuenftige Reisen ist es vielleicht nicht die schlechteste Idee vorab mit lokalen Sportvereinen Kontakt aufzunehmen und sich der einen oder anderen Veranstaltung anzuschliessen; je nach Vorlieben gilt das natuerlich auch fuer Chorsaenger, Hundebesitzer usw.
Wie ich jetzt die Kurve zum Kicken kriegen will? Gute Frage.