Sonntag, 23. Oktober 2011

Torbergs Vermaechtnis

Obwohl Friedrich Torberg waehrend des Krieges meines Wissens in die USA emigrierte und nie einen Fuss auf brasilianischen Boden gesetzt hat, hat sein Wirken auch in Rio de Janeiro bis heute Spuren hinterlassen.

Bei einem Kaffeehausbesuch ist mir beim Bezahlen in einer Vitrine neben der Kassa ein Schild mit "Pao Demel" aufgefallen, das auf kleine Sachertorten, etwa in der Groesse von Sacher-Wuerfel, aber in der klassischen Tortenform aufmerksam machte. Neugierig wie ich bin habe ich mir so ein Exemplar "Demel-Brot", so die wortwoertliche Uebersetzung, mitgenommen.

Die Juengeren unter meinen Lesern wissen vermutlich nicht mehr, dass es zwischen dem Hotel Sacher und der Konditorei Demel dereinst einen erbitterten Rechtsstreit um die Urheberschaft der Sachertorte gab. Ohne auf Details einzugehen, einer der Knackpunkte im Prozess war die Frage, ob in die Sachertorte in der Mitte eine Schicht Marmelade gehoert oder nicht; die Marmelade direkt unter der Schokoladenglasur stand nie im Zweifel.

Und so kam es, dass der Schriftsteller Friedrich Torberg, seines Zeichens Stammgast in beiden Haeusern, als Zeuge in dem aufsehenerregenden Prozess auftrat und bezeugte, dass zu Lebzeiten von Anna Sacher die Torte niemals in der Mitte aufgeschnitten wurde um sie mit Marmelade zu bestreichen. Der Prozess selber endete typisch oesterreichisch mit einem faulen Kompromiss (pardon, einer aussergerichtlichen Einigung) und ermoeglichte es beiden Haeusern die Sachertorte anzubieten.

In weiterer Folge unterschieden sich die echten bzw. originalen Sachertorten im wesentlichen darin, dass sie im Sacher mit einer zweiten Marmeladenschicht in der Mitte und im Demel ohne diese extra Marmelade angeboten wurden. Nach strenger Lesart wurde die echte Rezeptur also nur im Demel angewendet, obwohl die Familie Guertler mit ihrem billigen Imitat den erheblich groesseren kommerziellen Erfolg hatte. Aber so laeuft es ja oft im Leben, siehe etwa aktuell Apple und Samsung.

Nun also zur Preisfrage. Die aufgeweckten Leser ahnen es bestimmt schon, das Pao Demel von Rio de Janeiro entspricht voll und ganz der urspruenglichen Rezeptur. Der Zuckerbaecker darf sich keine Bloesse erlauben, weil zu trocken geratenes Biscuit nicht in Marmelade ertraenkt und somit jede Unachtsamkeit gnadenlos aufgedeckt wird. Torberg waere zufrieden gewesen.