Mittwoch, 19. Oktober 2011

Chopp & Cie.

Brasilianer sind zu meiner Verwunderung grosse Biertrinker vor dem Herrn. Ich weiss nicht ob die bei uns alljaehrlich kursierenden Statistiken wo uns regelmaessig Tschechien zeigt wo Gambrinus wohnt nur europaeische Staaten beruecksichtigt oder es sich dabei um eine WM handelt. In einer globalen Wertung kann Brasilien jedenfalls nicht weit hinter uns liegen oder der Pro-Kopf-Verbrauch ist durch die Eingeborenen im Amazonasgebiet verfaelscht. Rio selbst hat ja schon so viele Einwohner wie Bayern, und zumindest hier stehen sie den Freunden in der Lederhose um nichts nach.

Der Unterschied liegt darin, dass sie das Zeug aus winzig kleinen Glaesern, dem sogenannten "Chopp" trinken. Das laesst aber keine Rueckschluesse auf die Gesamtmenge zu, es laeuft dann wie beim Koelsch, statt 5 Kruegel trinken sie an einem durchschnittlichen Tag am Strand eben 15 Chopp. Die Copacabana hat ca. alle 200m einen Chopp-Standl, und offenbar koennen die alle ueberleben.

Sie beschraenken sich aber nicht nur auf die einheimischen Biere. Ich war heute in einem Supermarkt um Wasser zu kaufen und stolpere mehr zufaellig auf das groesste Biersortiment das mir jemals untergekommen ist. Neben dutzenden (sued)amerikanischen Biersorten finden sich dort auch unzaehlige belgische Biere, mehr aus Bayern und Boehmen als Meinl am Graben und Merkur zusammen im Sortiment haben, England und Irland sind ebenso vertreten wie Australien und Japan, usw. usf. Kurzum, ich habe es erstmals wirklich bereut nur mit Handgepaeck unterwegs zu sein.

Um das Bild hier aber gleich zurechtzuruecken, die Cariocas trinken nicht nur Bier, mindestens ebenso praegen die Fruchtsaftstaende das Stadtbild. Man waehlt mindestens drei Fruechte die dann vor den Augen des Kunden zu Saft verarbeitet werden, je nach Wunsch mit Zucker, Milch, Joghurt oder Cachaça (Zuckerrohr-Schnaps, das Nationalgetraenk Brasiliens) vermischt oder pur. War ich anfangs skeptisch, so vertraue ich dem Herstellungsprozess mittlerweile und weiss jetzt schon, dass mir das fehlen wird.

Bei der Gelegenheit noch ein Nachtrag zu meinem Stadionbesuch. Der Besitzer des Minibusunternehmens mit dem ich zum Spiel gefahren bin ist wie es der Zufall so will ein Sudetendeutscher, seine Eltern sind nach dem Krieg nach Rio gefluechtet. Fragen zu Dienstgrad und Einsatzort des Vaters habe ich mir verkniffen, und nach meinem "Na die werden lachen in Teplitz" hatte ich einen neuen Freund gefunden und Deutsch war die Arbeitssprache im Bus (die nur zwei von zwoelf Anwesenden gesprochen haben, wir waren also ungestoert). Ueberhaupt fallen im Alltag sehr viele deutsche Namen auf, wobei nicht nur alte Nazis vertreten sind. Der groesste Juwelier Brasiliens (und angeblich drittgroesster Schmuckkonzern weltweit) ist etwa ein gewisser Hans Stern, sein naechster Verfolger ein waschechter Brasilieiro namens Amsterdam Sauer.

Wie dem auch sei, jedenfalls lautet meine These, dass die Deutschen zur Entwicklung der Bierkultur hiezulande massiv beigetragen haben, was sich nicht zuletzt an den dominanten Marken wie Brahma (steht fuer Brauhaus Matschke), Skol, Bohemia, Kaiser und Baden-Baden zeigt. Auch der Chopp hat mir verdaechtig viel Aehnlichkeit mit dem Schoppen.

Selbst wenn ich irre, es tut gut endlich wieder in einem zivilisierten Land zu sein. Man trinkt Espresso aus kleinen Tassen und nicht aus kuebelgrossen Pappbechern, jeder Supermarkt hat ein groesseres und vor allem hochwertigeres Weinsortiment als die Liquor Stores in US, man isst selbst in den Churrascarias und den A Quilo-Buffets mit Besteck, und zwar von richtigen Tellern. Und obwohl Arm und Reich hier so eng beisammen leben gibt es die amerikanische Tipping-Unkultur in dieser Form nicht, man hat sich trotz aller Armut ein gewisses Mass an Wuerde bewahrt. Ist wohl das portuguesische Erbe, die vegetieren derzeit ja auch still vor sich hin waehrend die Griechen wie verrueckt nach Manna vom Himmel rufen.

Bezueglich Sicherheit habe ich mittlerweile saemtliche Bedenken abgelegt und bewege mich voellig frei durch die Stadt, ich bin hier in Rio und nicht in Mogadischu. Wenn man nicht gerade um drei Uhr morgens zum Drogenkauf in eine der weniger gut beleumdeten Favelas faehrt und dort womoeglich noch den Preis nachverhandelt ist es hier so sicher oder unsicher wie es in Grossstaedten eben ist. Im Gegenteil, meine bisherigen Erfahrungen waren ausschliesslich positiv, die Leute sind offen, freundlich und selbst einem radebrechenden Barbaren gegenueber ungemein hilfsbereit - und dabei vermitteln sie allesamt den Eindruck, dass sie gut gelaunt und jederzeit zu Scherzen aufgelegt sind.

Obwohl ich praktisch kein Wort verstehe gefaellt mir das brasilianische Portugiesisch uebrigens recht gut, einfach weil es so harmonisch klingt, man hat oft den Eindruck, dass sie beinahe singen und nicht sprechen. Dennoch ziehe ich es vor einen des Englisch maechtigen Taxler zu erwischen, die Chancen darauf stehen aber ungefaehr so wie in Wien. Zweimal habe ich immerhin schon das grosse Los gezogen, und so kann ich berichten, dass sie an ampelgeregelten Kreuzungen des Naechtens nicht deshalb nicht anhalten weil sie einen Ueberfall fuerchten, sondern um Antrieb und Bremsen des Autos zu schonen. Ob das schon Teil der Propaganda fuer Fussball-WM 2014 und Olympische Sommerspiele 2016 ist?

Das Wetter hatte uebrigens ein Einsehen und ich konnte endlich auf Corcovado und Zuckerhut. Speziell vom Zuckerhut ist die Aussicht wirklich grandios, erst aus dieser Perspektive realisiert man die Groesse Rios. Ich fuerchte das kommt in den Fotos nicht annaehernd zum Ausdruck, leider habe ich keine 360 Grad-Kamera. Als Entschaedigung habe ich ein paar Bilder vom Leben an der Copacabana geschossen, wie gesagt es ist Vorsaison und dennoch geht's hier schon zu wie in Rimini im August. Falls es keine brasilianische E. Spira gibt soll sie sich mit ihrem Team schleunigst hierher aufmachen und ein Christmas-Special der Alltagsgeschichten drehen.

Meine treuen Leser moechte ich an dieser Stelle vorwarnen, der naechste Beitrag wird erst am Wochenende folgen. Ich werde mich naemlich zu den Wasserfaellen von Iguazu begeben und aehnlich wie in Maui kein iPad mitnehmen. Also kein Grund zur Panik, ich moechte nur testen ob die Malaria- und Gelbfieber-Prophylaxe wirken.